Knitting factory.
War der neueste Tatort aus Baden Württemberg. Im Fernsehen? Nein, ein Konzertsaal. Aber muss das immer auf Englisch formuliert werden, gibt es dafür keine deutschen, vielleicht auch noch wohl klingenden Worte? Zwergers Strick Fabrik in Hechingen. Eine weiträumige Halle. Es riecht nach Schaf. Also nach Wolle. Im Hof draußen steht ein großer Kamin mit einem riesigen Schornstein. Alles noch gemauert, vermutlich aus dem vorletzten Jahrhundert und demnach entsprechend gealtert und teilweise verfallen. Das Ambiente riecht förmlich nach: anno dazu mal. Märchenstunde: es war einmal oder die Weihnachtsgeschichte: es begab sich aber zu der Zeit.
Was begab sich aber in Zwergers Strickfabrik Halle? Der berühmte Mundharmonika Virtuose Uli Kieckbusch, der schon mal im Gefängnis gesessen hatte ( allerdings mit seiner Mundharmonika und nur wegen der Kunst, nämlich in Salem, New York ) feiert mit befreundeten Musikern in neun verschiedenen Konzerten und an neun verschiedenen Orten seinen runden Geburtstag. Das vorletzte Konzert dieser Reihe bestreitet Uli Kieckbusch mit arkestra convolt. Zur Verstärkung wurde ein zweiter Perkussionsschlagzeuger eingeladen: Joachim Gröschl aus Tübingen.
So, und jetzt wird das Konzert beschrieben. Wie langweilig. Geht es nicht anders? So einen Ablauf haben wir schon hundertmal gelesen und es ist immer das gleiche, alles entweder ganz ganz toll – oder eben nicht ganz ganz toll. Wir können uns jetzt hier nicht entscheiden, einerseits sind wir parteiisch, andererseits stinkt zu viel Eigenlob.
Das ganz besondere liegt in dem Ambiente. Zwischen Strickgeräten, Maschinen, wunderbaren alten Holztischen ( Wofür werden die nur gebraucht? Die brauche ich doch für meine Kinder! ) Holzpaletten und Mengen fabrikmäßiger Spindeln. Diese Fabrik ist ein Familien Unternehmen und sie stellen nur Socken her. Und beliefern die ganze Welt. Das würden Uli Kieckbusch und arkestra convolt auch gerne tun – musikalisch.
Aber was war jetzt mit der Musik? Jeder Musiker brachte dem „runden“ Jubilar ein Ständchen. Claus Rosenfelder quetschte aus seinem Saxophon Töne, die in ihrer Verzwängung durch körperliche Verwindungen optisch noch unterstützt wurden. Es gab mal eine Zeit in Deutschland, da wurde so etwas als entartete Kunst bezeichnet. So zeigt uns die Vergangenheit, wieviel Humor, Ideenreichtum und queres musikalisches Denken einen unerschöpflichen Reichtum schaffen können. In das gleiche Horn blies Bernd Stang auf seiner Posaune. Und doch ganz anders. Er sang in seine Posaune. Heraus kommen dann Akkorde und mehrstimmige Melodien. Abrupte Breaks und heftige musikalische Kaltwetterfronten holen die Zuhörer immer wieder in die kühle Strickfabrik zurück. Die Einsamkeit beider Solisten in der weiten Fabrikhalle ist nur eine scheinbare. Das Publikum erlebte durchgängig nur warme Begeisterung.
Und dann: Rhythm is it. Keine Melodien im herkömmlichen Sinn. Flair, Timbre, atmosphärische Stimmungen, die niemals in einem Orchester zu hören sind. Das kann niemand komponieren. Das lässt sich nur spontan erfinden. Eine subtile und feinsinnige Unterhaltung zwischen zwei Könnern, die genau wissen, wann sie schweigen und wann sie gemeinsam die Ohren, den Rhythmus und das Publikum fordern. Beide, Joachim Gröschl und Francesco Panarese waren an diesem Abend die beiden Suchtmacher. Musik tönt und klingt, aber es war stille Musik, trotz Rhythmus, trotz Dezibel.
Michael Schneider, ein Sammler par excellence hatte sich erinnert, dass sich in seinem Fundus ein Bebob-Blues von Frank Proto befindet. Justamente im gleichen Jahr komponiert, indem Ulli Kieckbusch das Licht dieser wunderbaren Welt erblickte. Der Komponist Frank Proto hatte sich am Ende seines Kontrabass Studiums zum Diplom selbst diese Jazz Sonate geschrieben. Davon präsentierte Michael Schneider den zweiten, einen reinen Pizzicato Satz. Frank Proto gestaltete diese Nummer in der klassischen Sonatenform. Das Publikum merkt dies zunächst natürlich nicht, sondern spürt nur, dass hier die Musik auf dem Kontrabass so richtig abgeht.
Diese vier Darbietungen liess Ulli Kieckbusch nicht so einfach auf sich sitzen. Er steuerte eine Eigenkomposition auf der Harmonika bei zu diesem Abend und den Geburtstagsständchen: „Barbara“. Zu bewundern ist dieser Blues auch auf einem Video auf YouTube in einer New Yorker Galerie mit Ulli Kiekbusch.